Es gibt berechtigte Annahmen über Venedig:
Ich habe dort vor fast 10 Jahren die schlechteste Pizza meines Lebens gegessen, wir wurden bei der ersten Vaporettofahrt beklaut und sahen unglaublichen Kitsch als wir uns durch die Massen an der Rialtobrücke an den Schaufenstern vorbeischoben. Trotz allem war sie jedoch damals schon da, diese Faszination, die allein die Ankunft in Venedig auslöste. Man tritt aus dem Bahnhof Santa Lucia, blickt auf den Canal Grande, die Gondeln, die Palazzi und ist in einer anderen Welt.
Inzwischen hat die Lagunenstadt mein Herz immer weiter ergriffen und das hängt maßgeblich auch damit zusammen, dass ich eine Seite von Venedig entdeckt habe, die ich mit Euch teilen möchte. Denn sie hat mit Zeit & Respekt zu tun. Und … mit zeitgenössischer Kunst.
Im Rückblick kann ich sagen, dass es die Kunstbiennale Venedig war, die mir ermöglichte, die Lagunenstadt ganz anders und unglaublich intensiv kennenzulernen
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich bis vor ca. drei Jahren die Kunstbiennale in Venedig einfach nicht auf dem Zettel hatte. Documenta in Kassel, klar, aber die Lagunenstadt brachte ich „nur“ mit Canal Grande, Markusplatz, Dogenpalast und Gondeln in Verbindung.
Irgendwann flatterte wohl ein Beitrag im Art Magazin in meine Wahrnehmung und ich nahm mir fest vor: dort fahre ich 2022 hin!
Hatte ich eine Vorstellung von den Ausmaßen der Biennale, hatte ich jemanden, der oder die mich begleiten würde, um mindestens zwei Tage in die Zeitgenössische Kunst einzutauchen – nein!
Irgendwann sagte eine Freundin, es war inzwischen Oktober 2022 – „Du fährst jetzt und wenn nicht, brauchst Du mir nie wieder etwas vorzujammern.“ Danke nochmals für diesen Tritt.
Ich buchte ein möglichst günstiges Hotel. Einfach und …auf dem Lido. Das sollte sich als Glücksfall herausstellen. Nicht das Hotel selbst, denn das war, nennen wir es mal „etwas abenteuerlich“ in der Ausstattung, sodass ich wirklich froh war, dass ich nur für mich selbst verantwortlich war. An dieser Stelle tauchen immer noch verstörende Bilder von einer Minihotellobby mit einem in Knallkitschsonnenuntergangsfarben gemalten Ölschinken auf. Motiv: „La Famiglia“ des Hotelbesitzers samt grinsendem weißen Spitz in einer Gondel vor der Rialtobrücke.
Der Jackpot aber war: die Lage des Hotels.
Ich hatte einfach nicht auf dem Zettel, dass man einen Venedigbesuch mit schwimmen im Meer verbinden könnte. Den Lido hatte ich bisher nicht besucht. In Verbindung brachte ich ihn mit der Filmbiennale mit all seinen Stars und Sternchen und Thomas Mann`s: Tod in Venedig (übrigens der einzige Film, bei dem ich im Kino jemals eingeschlafen bin.)
Im nachfolgenden, geht es mir um einen groben Überblick und Tipps, die aus meiner Erfahrung meiner beiden Kunstbiennalebesuche entstanden sind. „The milk of dreams / Il latte di sogni” 2022 und “Foreigners everywhere / stranieri ovunque” 2024
Die Kunstbiennale Orte
Man muss wissen, dass es drei Orte gibt, an denen die Kunstbiennale stattfindet:
Giardini della Biennale (die Gärten): Dort steht der Hauptpavillion und zahlreiche Länderpavillions. Das besondere am Giardini ist, dass man sich durch ein parkähnliches Gelände bewegt. Immer wieder sieht man das Meer schimmern und vor allem, man riecht es. Immer wieder und sehr intensiv.
Arsenale: das ist der Name der Schiffswerft, des Zeughauses und der Flottenbasis der ehemaligen Republik Venedig. Man bewegt sich auf einem weitläufigen Gelände mit riesigen Hallen, das in dieser Form nur zu Biennalezeiten zu besichtigen ist. Schon allein und ohne Kunst ist das ein Hammer!
Die Stadt selbst: über die ganze Stadt, gibt es Locations und Kultureinrichtungen, die geöffnet sind und soweit meine Beobachtung, auch ohne Biennaleticket zu besichtigten sind. Jedenfalls musste ich meines nie vorzeigen. Viele Locations sind Palazzi, die nur während der Biennale zu besichtigen sind, was aus meiner Sicht schon eine Sensation für sich darstellt.
Das Kunstbiennale Feeling
Vorab: die Kunstbiennale ist der totale Kunstoverkill. Bei meinem ersten Besuch, habe ich erst gegen 17 Uhr realisiert, dass ich noch nichts gegessen hatte. Und dass kommt eigentlich nie vor bei mir. Wirklich nie!
Das Flair: lebendig, bunt & international. Von Familien mit Kindern, über Jugendliche, Studentinnen, Schulklassen, Reisegruppen, Paaren, Freund*innengruppen jeden Alters … ist alles vertreten.
Mich erstaunt immer wieder, wieviel man zu sehen bekommt und wieviel man auch „schafft“ zu sehen. Man sollte ruhig Mut zur Lücke haben und sich auf das „stürzen“, was einen anspricht. Gleichzeitig kann man auch versuchen sich auf Kunst einzulassen, die sonst nicht so die eigenen Kunstpfade kreuzen. Man bekommt ein gutes Gefühl dafür, welche Themen derzeit diskutiert werden und den Zeitgeist beschäftigten.
Mitbringen sollte man vor allem Neugier und die Bereitschaft, sich auch auf Ausdrucksmittel und Positionen einzulassen, die einem auf den ersten Blick, vielleicht auch nichts sagen oder ansprechen.
Kunstbiennale Tipps
Inzwischen kauft man die Kunstbiennaletickets für ein oder drei Tage (40 €). Für die Giardini kann man einen Tag rechnen, ebenso wie für das Arsenale. In der Stadt habe ich bisher nur einen winzigen Bruchteil von allen möglichen Locations besucht. Wir haben die Tickets vor Ort gekauft. Wir mussten nur kurz anstehen (Reisezeit November).
Dringend und wärmstens empfehle ich ein Vaporettoticket (Wasserbus) für mehrere Tage. Man ist frei und kann so oft fahren, wohin man möchte (inkl. aller Inseln). Das haben wir vor allem 2024 ausgiebig genutzt, da z.B. auf der Insel La Certosa noch Beiträge des Deutschen Pavillions (ein altes verfallenes Kloster mit einer Caspar David Friedrich Stimmung) zu sehen waren. Anschließend sind wir übrigens spontan nach Murano gefahren, wo uns der Himmel ein unvergessliches Sonnenuntergangsfeuerwerk bot. Diese Spontanität ist das besondere Geschenk des Mehrtagestickets. Gekauft habe ich es immer vor Ort an den Verkaufsstellen oder Automaten des ACTV.
Verpflegen kann man sich auf dem gesamten Biennale Gelände. Überall, in etwa das gleiche Angebot: Paninis in hoher Qualität, Salate, warme Gerichte und natürlich hochwertigen, günstigen Café.
Links:
Wo übernachten?
Der Lido di Venezia ist meine absolute Empfehlung.
So bin ich bei meinem ersten Biennalebesuch 2022, nach meiner Bahnanreise, nachmittags schon im goldenen Licht des Bluemoonbeachs geschwommen. Dieses unerwartete, komplett unwirkliche Erlebnis, hat einen festen Platz in der Rangliste meiner eindrücklichsten Lebensmomente und hat mich vollgeschossen mit Glückshormonen. „Collect moments not things“. Check!
Auf dem Lido findet man Supermärkte, Gemüsehändler und Restaurants, die auch von Einheimischen besucht werden, sodass man sich auf jedem Preisniveau verpflegen kann.
Und als ich mich 2024 eines Morgens zum Schwimmen Richtung Meer aufmachte, grüssten die Einheimischen, wie bei uns Zuhause auf dem Dorf und am berühmten Lido di Venezia war ich um 7 Uhr so gut wie allein. Nur die aufgehende Sonne, das Meer, der kilometerlange Strand und ich.
Allerdings, Ausrufezeichen, reiste ich auch antizylisch Ende Oktober 2022 und Mitte November 2024.
Weiterführende Infos und Podcasts zu Venedig
Wenn Euch wirklich etwas an Venedig liegt, schenkt der Stadt nicht nur Euer Herz, sondern auch etwas Zeit. Mindestens drei Nächte sollten es sein. 2024 war ich sogar 8 Nächte dort. 4 Nächte mit einer Freundin, die sich mit in`s Kunstbiennalegetümmel warf und 4 Nächte mit Mathias, mit dem ich das klassische Venedigprogramm genoss: Dogenpalast, Markusdom, Museo Correr, Fondaco dei Tedeschi (das ehemalige Handelshaus der Deutschen) etc. und kreuz und quer durch die sechs Stadtteile (Sestieri).
Legt Euer Ohr an die Stadt: Und im besten Fall: Setzt Euch damit auseinander, welche Probleme & Anliegen, die letzten verbliebenen Venezianer haben. Vielleicht interessiert Ihr Euch ja auch für Initiativen / Aktivist*innen in der Stadt. Das geht heute via Social Media leichter denn je.
Instagram: petrareski, venezia_non_disneyland, labiennale
Podcast: Venedig – Hören und Lieben (z.B. #3 Mit Petra Reski für ein nachhaltiges Venedig)
Und um es mit den Worten der Journalistin / Aktivistin / Venezianerin Petra Reski zu sagen:
· Machen Sie keine Kreuzfahrt
· Buchen sie ein Hotel, kein Airbnb und keine Ferienwohnung
· Bleiben Sie mehrere Tage in der Stad
Venedig und seine Einwohner*innen werden es Euch danken!
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Dann schreibt mir gerne per mail:
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