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  • AutorenbildElvira Schmidt

Man muas aufbass´n, daß ma ned auf an Dreg aufbasst

Ich habe mich entschieden, diesen schon älteren Beitrag zum Jahresstart 2024 nochmal zu posten.

Als Beitrag / "Reminder" zur Lebenskunst" und als Dank an meine flauschige & geliebte Lissy, die mich noch immer und hoffentlich noch ganz lange begleitet.

Im Februar, geht es dann wieder mit einem Blogbeitrag zu meiner Holzkunst weiter:)


Vor ein paar Jahren lebte ich, nach einigen privaten Veränderungen, in einer Land WG im Chiemgau. Eine Katze, ein Haufen Dreck und ein "Bua"... manchmal braucht es genau das, um poetische Lebensweisheiten zu finden.

Ich war auf dem Sprung. Schon halb zur Tür hinaus. Da fiel mir die Katze ein.

Sie musste immer raus aus der Wohnung, wenn ich ging. Das war beschlossene Sache, seit ich einmal heimgekommen und ein Wegenetz aus Sägespänen quer durch die Wohnung verlegt worden war.

Als ich die Katze daraufhin lange gesucht hatte, fand ich sie schließlich in dem mehrstöckigen Meerschweinchenstall, wo sie tief und fest schlief. Daneben die cremefarbene Meerschweinchendame Lotte, die ganz flach im Halbmond liegend, zufrieden im Meerschweinchentraumland unterwegs war. Ein rührendes Bild des Friedens und der Eintracht. Beide blinzelten verschlafen, als ich an den Stall trat.

So idyllisch die Szene im Stall anmutete, so verheerend sah der Boden der Wohnung aus. Dieser erinnerte eher an eine Zirkusmanege, denn meine schwarze Katze Lissy ist langhaarig und sammelte deshalb, mit ihrem Fell, immer wieder so einiges ein: Blätter, Kletten, ja sogar Schnecken hatte ich schon aus ihrem Fell entfernt.

Und deswegen schleppte sie natürlich auch, die von ihrem Fell scheinbar magnetisch angezogenen Sägespäne, durch die Wohnung.

Auch jetzt suchte ich also die Katze. In dieser Zeit, von der ich schreibe, lebte ich wieder in einer WG. Es war eine Zweier WG mit gemeinsamer Küche und Bad. Mein Mitbewohner hatte sein eigenes Zimmer und ich auch. Übrigens ein Wohnkonzept, das hier auf dem Land manchmal erklärungsbedürftiger war, als in der Stadt. Aber das ist eine andere Geschichte.


Wie ich es befürchtet hatte, war Lissy mal wieder in das Zimmer meines Mitbewohners geschlichen. Es war besser, wenn das nicht geschah. Nicht, weil mein Mitbewohner keine Katzen mochte. Nein, im Gegenteil. Er war diesbezüglich sehr gutmütig und tierlieb.

Sondern, weil sie sich dort oft als Möbelzerstörerin oder Katzenmaniak aufführte. Das heißt, sie suchte sich genau dieses Zimmer aus, um ihre tägliche Raserei, die meist circa zehn Minuten dauerte, auszuleben.

Katzenbesitzer kennen das. Es gibt eine Zeit am Tag, da scheint ein Dämon in die vierpfotigen Wesen zu fahren. Sie rasen los, geben undefinierbare, grollende Laute von sich und lauern ganz flach auf den Boden gedrückt. Sie peitschen mit dem Schwanz und dann das Schlimmste:

sie „kletten“ sich seitlich an bezogene Möbelstücke und ziehen sich, festgekrallt mit allen Pfoten, an diesem entlang. Manchmal „schoppen“ sie sich auch an der Möbeloberfläche entlang, das heißt sie stoßen mit den Hinterpfoten vehement und stakkatoartig gegen die Unterlage. Dabei schauen sie einen oftmals, mit irrem Blick, weit aufgerissen Augen, leicht geöffneten Maul an und heischen nach Aufmerksamkeit.

Schlimm genug, wenn es die eigenen Möbel sind. Sehr! unangenehm, wenn es fremde Möbel sind. In diesem Fall hatte es Lissy ein Vintagesessel sehr angetan, der im Zimmer meines Mitbewohners stand und eine persianerartige, dunkelrote Oberfläche besaß. In Katzenaugen, ein Objekt, wie es genialer gar nicht sein konnte.


Um das zu verhindern, ging ich nun in Richtung des Zimmers meines Mitbewohners.

Dieser hatte Besuch vom „Bua“.

Der Bua gehörte zu einer Spezies, die man im Chiemgau immer wieder auf Bauern- und Einödhöfen findet. Er war der Sohn der Vermieterfamilie, alleinstehend, Mitte 50. Auf dem Hof hatte er zwei Garagen als Werkstatt umfunktioniert und wenn er nicht in der Arbeit war, werkelte er meistens dort. Er trug immer ziemlich mitgenommene Arbeitskleidung, außer an wirklich hohen Feiertagen. Meist hatte er einen lustigen Spruch mit sehr eigenem, Gerhard Polt artigem Humor auf den Lippen. Er war stets hilfsbereit, wenn es etwas anzuschließen oder zu reparieren gab.


Am Abend unseres Einzuges am letzten Märzabend 2011, der aufgrund der langen Fahrt von Niedersachsen und des Schweinsbratenessens bei meiner Schwester, erst in abendlicher Dunkelheit stattfand, hatte ich ihn folgendermaßen kennengelernt:

Auf einmal war unter den Umzugshelfern ein fremder Mann, der sich Regale und Kisten auflud und damit schweigend nach oben über die Treppe stapfte. Ich stutzte und nahm schließlich, nach einiger Zeit meinen Mut zusammen und sprach ihn an.

Ich stellte mich vor und wartete: „Grias di“ war die Antwort und dann Stille. Ok, da wird jetzt von selbst nicht mehr viel kommen, dachte ich. Also sagte ich: “Ja, grias di. Freut mich sehr und wer bist Du?“

Daraufhin folgte der inzwischen legendäre Satz:

„I“, es folgte eine bedeutungsschwangere Pause „ … bin da Bua!“

Aha, das war also geklärt. Ich bedankte mich herzlich für die Hilfe und meinte, er brauche sich jedoch nicht verpflichtet fühlen, uns mitten in der Nacht, zu helfen.

Seine Antwort, war ebenfalls kurz und knapp. “Na, na des passt scho!“ Und schon war er wieder Richtung Treppe unterwegs, mit einem Teil von einem Billyregal.


Dieses Kennenlernen war jetzt schon fast drei Jahre her und in der Zwischenzeit hatte sich sehr viel ereignet. Es sind Dinge passiert, die dazu führten, dass ich wieder in einer WG wohnte.

Jetzt, rief ich also nach der Katze und betrat das Zimmer meines Mitbewohners:

Der Bua hatte meinen Mitbewohner bei seiner Putzaktion unterbrochen und stand die Hände in die Taschen seiner blauen Latzarbeitshose versenkt, mitten im Raum.

Ein Haufen Dreck lag zusammengekehrt auf dem Boden. Man sah Staubflusen, Haare, Krümel und Papierreste. Alles, was sich sich eben so ansammelt.

Die Katze saß auf dem Holzboden vor dem Dreckhaufen und starrte diesen konzentriert an. Sie war für eine Katze sehr klein mit kurzen Beinchen und sehr puscheligen Pfoten. Ihre langen Fellhaare standen seitlich ab, so dass sie immer etwas explodiert aussah. Oft wenn ich sie sah, zog sich mein Herz ein bißchen vor Liebe zusammen. Denn sie hatte mich gefunden und nicht ich sie, aber das ist eine andere Geschichte.

„Kimm … auf geht`s. Aussi geht`s, Lissy!“ rief ich.


Der Bua sah die Katze an und erwiderte trocken:

„Des gehd ned, die muas auf an Dreg aufbassen.“


Und tatsächlich reagierte die Katze auf meinen Ruf überhaupt nicht.

Normalerweise ging ein Ruck durch den kleinen wuscheligen Körper, wenn ich sie rief und sie rannte mit einem freudigen Gurren auf mich zu.

Aber jetzt saß sie auf ihren Hinterbeinen und starrte unverwandt auf den gemischten Dreckhaufen vor ihr. Ab und zu, hob sie eine Vorderpfote und berührte mit dieser ganz sachte den Dreck. Sie hob nicht mal den Kopf, als ich zur Tür hereinrief.

Für sie schien der Dreck gerade das Wichtigste auf der Welt zu sein. Kein Fressen, keine Streicheleinheiten, nichts konnte ihre Aufmerksamkeit erregen oder sie gar locken.

Noch einmal rief ich. Doch das Ergebnis war dasselbe: Der Katzenkopf schaute gebannt nach unten.


„Da kost schrein wiast wiust, die hod jetzt wos Wichtigeres zum doa.“ Hörte ich die Interpretation des Bua zur aktuellen Katzensituation.

Und er hatte recht. Genau das war es!

Für die Katze war der Dreckhaufen gerade das Allerwichtigste auf der Welt.

Ich atmete tief durch und betrachtete die kleine Katze vor ihrem Dreckhaufen nochmal ganz in Ruhe. Es war jetzt sowieso schon egal. Ein paar Minuten hin oder her, würden jetzt auch nicht den Ausschlag geben.

Und dann dachte ich: Das kenne ich!

Wie oft habe ich schon auf „meinen Dreckhaufen“ aufgepasst. Auf Situationen und Sorgen, wie gebannt und hochkonzentriert, geblickt und nichts anderes mehr mitbekommen. Nicht die Vögel, die sangen, die Sonne, die schien und alles andere, um mich herum.


Ich musste unwillkürlich lächeln und sagte ohne groß nachzudenken:

„Ja, man muass aufbass`n, dass ma ned z`vui auf an Dreg aufbasst.“

„Des host jetzt aber g`scheid g`sogt“, meinte der Bua anerkennend.


Und ich griff der Flauschkatze unter den Bauch und hob sie hoch. Diese schaute mich verwirrt an und blinzelte. Sie erwachte, wie aus einer Trance. Ich trug sie weg vom Dreckhaufen, über die Treppe und setzte sie in den Hof, wo die Sonne schien.







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