Gerade hat sich durch einen unglaublichen Glücksfall ein Herzenswunsch erfüllt:
Ich schreibe diesen Text nun in meinem neuen, eigenen Atelier- und Schreibzimmer, das ich jeden Tag von Herzen und mit tiefer Dankbarkeit feiere.
Virgina Woolf hat das wundervolle Buch geschrieben „Ein Zimmer für sich allein“. Darin geht es, um den eigenen Raum, den jede Frau benötige, damit in ihrem Fall Literatur, überhaupt entstehen könne.
Denn Kunst, welcher Gattung auch immer, braucht Raum.
Und ein „für sich Sein“, damit man ihre Stimme hören kann, denn manchmal flüstert sie ganz leise. Und manchmal tanzt und tobt sie, wie ein Derwisch voller Lebensfreude und Tatendrang.
Und wenn Figuren und Motive, sich mal sachte, mal vehement, erheben wollen auf Papier oder bei mir aus dem Holz, ist dies eine zarte Angelegenheit, die viel mit Spüren, mit Lauschen, mit Beobachten zu tun hat. All das kann leicht erschüttert oder im wahrsten Sinne, abgelenkt werden. Denn Kunst entsteht häufig aus der Fragilität des Augenblicks, aus dem sie sich manifestiert.
So wie die Fühler einer Schnecke sich zurückziehen.
Zack und weg…
So schnell kann das manchmal gehen.
Kunst braucht Lebens- und Entwicklungsräume.
Dann entsteht:
Verzücktes, Verwirrtes, Verträumtes, Vehementes, Liebevolles, Achtsames, Nachhaltiges, Verarbeitendes, Sichtbarmachendes, Aufrüttelndes, Raues, Unbequemes in Linien, Malereien, Installationen, Texten, Musik, Büchern, Bildern, Skulpturen…
Leben, Wahrnehmung und Zeitgeschehen werden reflektiert, gespiegelt, verarbeitet… Und dabei passiert vor allem eines nicht:
Das alles gleichgültig hingenommen wird oder im „Sumpf der Traurigkeit“ versinkt.
In seiner „Unendlichen Geschichte“ schreibt der unvergessene Michael Ende vom großen „Nichts“, das sich ausbreitet und droht das Land „Phantasien“ verschwinden zu lassen. Dieses Bild des „Nichts“ war für mich als Jugendliche derart eindrücklich, das ich mit jeder Faser die Bedrohung immer näher kommen spürte. Als ich nun vor etwa einem Jahr noch einmal eintauchte in die Welt von Bastian, Atreju und seinem treuen Pony Artax, wurde mir schlagartig klar:
Dieses „Nichts“ bedroht auch unser Phantasien.
Es hat schon längst begonnen!
Keiner fragt, warum ein Schreiner eine Werkstatt braucht, ein Bauer einen Stall, ein Bäcker eine Backstube.
Menschen freuen sich über Lesungen, Theater und Ausstellungen. Aber fragen sie die Kreativen, in diesem Fall des Chiemgaus, doch einmal, wo all dies entstehen kann.
Und was passiert, wenn die Kunst keinen Raum mehr findet?
Keinen Raum zum Atmen, den Gedanken zuzuhören, den kreativen Flow in Gang zu setzen, Linien entstehen zu lassen, Spuren zu folgen.
Die Künstlerin, ja ich verwende hier bewusst die weibliche Form, in memoriam an alle Gedanken, Ideen und Kunstwerke von Frauen, die nicht entstanden sind, weil kein physischer und mentaler Raum für diese vorhanden war. Die Künstlerin also, ergründet, lässt es zu, tief zu tauchen. Taucht selbst tief.
Sie nimmt all ihren Mut und springt in die Tiefe, die aus Materialien, Gedanken, Begegnungen, Ängsten und Phantasien besteht. Sie springt mit ihrer Zeit und wenn sie es wirklich ernst meint und das klingt jetzt pathetisch, ist aber genauso, springt sie mit ihrem ganzem Ich, mit ihrem Leben.
Und was ist, hier noch ein kurzer Exkurs, wenn sich nur noch einige, aus welchen Gründen auch immer, solche Räume überhaupt leisten können? Ja, wenn nur noch eine bestimmte „Schicht“, die Mieten / Kaufpreise in einer bestimmten Region noch bezahlen kann?
Dann entsteht eine Zweiklassengesellschaft, in der das Materielle als Barriere beeinflusst, ob jemand Kunst schaffen kann oder nicht.
Die langjährige Professorin an der Filmhochschule München Doris Dörrie, beobachtet schon lange, einen gravierenden Wandel in der Diversität der Studierenden. Hauptsächlich junge Frauen und Männer, die sich die hohen Mieten dort noch leisten oder im Eigentum der Eltern wohnen könnten, würden laut Dörrie, noch in ihren Seminaren sitzen.
Was macht das mit unserem Gefühl für Gleichheit, unserer Solidarität, unserem Gerechtigkeitsempfinden und letztendlich unserem gesellschaftlichen Klima?
Und vor allem, wieviel kreatives Potential bleibt so, aufgrund von sozialer Ungleichheit, auf der Strecke?
Manches wird also verschwinden auf leisen, traurigen Sohlen. Vieles wird gar nicht erst entstehen.
Zuerst wird es niemand wirklich mitbekommen. Stück für Stück, unmerklich. Wie beim Artensterben in der Natur beginnt das künstlerische „Art-ensterben“.
Schließlich setzt irgendwann auch ein gesellschaftlicher Klimawandel ein. Das „Nichts“ beginnt um sich zu greifen.
Die letzten Zeilen dieses Textes schreibe ich, im Schein meiner neuen Schreibtischlampe, die aus hunderten kristallartiggeschliffener Elemente besteht, die das Licht prismaartig streuen und an die Wände projizieren. Ich denke an alle, die sich in irgendwelche Ecken quetschen, den Platz für ihre Materialien „die immer im Weg sind“ rechtfertigen und versuchen jeden Tag kleine Räume für sich und ihre Kunst, ihr Schreiben, ihre Gedanken zu schaffen.
Und die trotzdem weitermachen!
Ich habe das jahrelang auch getan.
Und deshalb mein Appell an alle, die die Möglichkeit haben, dazu anregen oder sich dafür einsetzen können:
Schafft und ermöglicht Räume für uns Kreative.
Wir werden Euch erfreuen & erschüttern. Wir werden Eure Herzen berühren, Euch irritieren und träumen lassen. Wir werden Eure Wahrnehmung und somit die Welt bereichern.
Wir werden Euch vor Gleichgültigkeit, dem „Sumpf der Traurigkeit“, dem „Nichts“ versuchen zu bewahren.
Versprochen!
Rettet mit uns „Phantasien“ !
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